Bitterfeld ist aufgrund seiner geografischen Lage seit Anfang des 19. Jahrhunderts Knotenpunkt im deutschen Fernstraßennetz. Hier kreuzen sich die Verbindungen von Berlin nach Halle/S. und von Dessau nach Leipzig.
Mitte des 19. Jahrhunderts begann sich der Braunkohlenbergbau in dieser Region zu entwickeln. Daneben existierten zahlreiche Tonröhrenfabriken, Ziegeleien und Töpferwerkstätten. Im Zuge dieser Entwicklung erhielt Bitterfeld Bedeutung als Eisenbahnknoten - im Jahr 1857 wurde die Strecke nach Dessau eröffnet, bis 1859 folgten die Strecken nach Wittenberg, Leipzig und Halle/S.
Produktion und Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Produkte in der Region und die Eröffnung weiterer Grubenbetriebe und Brikettfabriken ergab die Notwendigkeit, die infrastrukturelle Erschließung durch Eisenbahnstrecken zur Güterabfuhr voranzutreiben. Im Herbst 1882 begannen allgemeine Vorarbeiten für den Bau der Nebenbahn Bitterfeld - Stumsdorf als Verbindung des Eisenbahnknotens Bitterfeld mit der 1840 eröffneten Hauptstrecke Halle/S. - Magdeburg, welche 1883 ihren Abschluß fanden.
Am 4.April 1884 bewilligte der preußische Landtag 1,2 Millionen Mark für den Bau der Strecke. Der Landerwerb zog sich jedoch über mehr als zehn Jahre hin, so daß erst im September 1896 mit den Bauarbeiten bei Stumsdorf begonnen werden konnte.
Am 28. September 1897 erfolgte die Probefahrt nebst landespolizeilicher Abnahme der Nebenbahn. Die festliche Eröffnung der Strecke Bitterfeld - Stumsdorf fand am 1. Oktober 1897 statt. Der Eröffnungszug mit geschmückter Lokomotive fuhr unter überwältigender Anteilnahme der Bevölkerung von Bitterfeld nach Stumsdorf, wobei er in Zörbig eine Ehrenpforte passierte. Mit diesem Tag konnte der Betrieb der Pferde-Omnibuslinie zwischen Zörbig und Stumsdorf eingestellt werden.
Später wurde die Bahnlinie aufgrund des Transportes der Güter der zuckerrübenverarbeitenden Industrie in Zörbig, speziell des Zuckerrübensaftes, von der Bevölkerung als Saftbahn bezeichnet. Am 9. August 1898 wurde außerdem die Schmalspurbahn von Dessau über Radegast - Zörbig nach Köthen eröffnet, die hauptsächlich dem Transport landwirtschaftlicher Güter diente.
Braunkohlenvorkommen und Wasserressourcen waren Voraussetzung zur Ansiedelung der chemischen Industrie in Bitterfeld. Im Jahr 1894 erwarb die "Berliner Aktiengesellschaft für Anilin-Fabrikation" von der Stadt Bitterfeld in Wolfen das Gelände für eine Farbstoffabrik und die erforderlichen Vor- und Zwischenprodukte. Im Frühjahr des gleichen Jahres begann der Bau der elektrochemischen Werke und bereits im Dezember konnte die Elektrolyse zur Herstellung von Ätznatron und Ätzkali in Betrieb genommen werden. In den Folgejahren siedelten sich zahlreiche weitere Betriebe an und es kam zu einem damit verbundenen rasanten Anstieg der chemischen Produktion.
Der wirtschaftliche Niedergang kleinerer Betriebe nach dem ersten Weltkrieg zwang viele Arbeitskräfte, sich im Ballungsraum Bitterfeld Beschäftigung zu suchen Dies führte zu einem starken Anstieg des Berufsverkehrs auf der Bahnlinie.
Während des zweiten Weltkrieges kam es zu keinen wesentlichen Beschädigungen der Bahnanlagen durch Kampfhandlungen, jedoch wurde auf Befehl der sowjetischen Stadtkommandantur der Betrieb auf zwei Zugpaare je Tag begrenzt.
Im Rahmen der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR wurde sowohl der Chemieindustrie, als auch der Braunkohlenindustrie sehr große Bedeutung beigemessen. So wurde die Strecke zur Kohleabfuhr aus den umliegenden Tagebauen genutzt, nachdem ein entsprechender Gleisanschluß zur Grubenbahn westlich des Betriebsgeländes des CKB entstanden war. Dies wurde erforderlich, da die Kapazität des Übergabebahnhofes Bitterfeld voll ausgelastet war. Es existierten sogar Planungen, den Abschnitt Bitterfeld - Sandersdorf zu elektrifizieren. In der Nähe des Haltpunktes Grube Antonie wurde in den achtziger Jahren ein zentraler Übergabebahnhof des Chemiekombinates Bitterfeld errichtet.
Die mit der Wende 1989 eingeleitete Umgestaltung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in ehemaligen DDR hatte einen dramatischen Einbruch in der Braunkohlen- und der Chemieindustrie zur Folge. Damit verbunden war ein drastischer Rückgang im Personen- und Güterverkehr auch auf der Strecke Bitterfeld - Stumsdorf.
Im Bestreben der Deutsche Bahn AG zur Regionalisierung von Nebenstrecken ist auch die Zukunft der Strecke Bitterfeld - Stumsdorf ungewiß. Jedoch bleibt auch im Sinne der Anwohner und Nutzer der Bahnlinie zu hoffen, daß das 100-jahrige Jubiläum der Saftbahn am 1. Oktober 1997 feierlich begangen werden kann.
Um die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf diese Strecke zu lenken, haben sich engagierte Eisenbahnfreunde entschlossen, am Wochenende 20./21. Mai 1995 die Bespannung planmäßiger Personenzüge mit der in den sechziger Jahren in Bitterfeld stationierten Dampflokomotive 89 1004 zu organisieren.
Sven Krüger - im Namen des Plandampfteams
Video: YouTube, TheTraintv