Schnee und Eisenbahn – eine herrliche Komposition, eingebettet in eine harmonische Gebirgslandschaft – das wünscht sich jeder Eisenbahnfotograf, um perfekte Aufnahmen zu machen. Die Betriebseisenbahner mögen das weiße Kristall eher weniger, denn selbst bei leichtem Schneefall kommt eine Lok schon einmal ins Schleudern.
Steigen die Schneehöhen, können vor allem die Eisenbahner in Gebirgsregionen mit dem Schnee eher etwas anfangen. Besser gesagt: Früher war man immer gut gerüstet, wenn es darum ging, den Schnee von den Schienen zu räumen. Dass das heute nicht mehr selbstverständlich ist, liegt nicht nur am Klimawandel, sondern sicher auch am Sparzwang mancher Bahnverwaltung.
Einst lagen auf jedem Stellwerk Weichenbesen und Schneeschieber bereit, um die Weichen gangbar zu halten. Es gab Winterdienstpläne, nach denen Personale zum Einsatz kamen, wenn der Eisenbahnverkehr durch stärkere Schneefälle behindert wurde. Dann hielt die Deutsche Reichsbahn an vielen Orten Winterdiensttechnik vor. Schneepflüge waren auf jedem größeren Bahnhof vorhanden und konnten mit Lokomotiven unter sachkundiger Begleitung eines streckenkundigen Mitarbeiters über die Gleise geschoben werden. Dazu musste zwar auch die Strecke gesperrt werden, jedoch hatte das in den meisten Fällen Erfolg, zumal man die Räumfahrten in Zeiten mit weniger Zugverkehr gut über die Strecken brachte. Nächtliche Streckenruhen mit unbesetzten Bahnhöfen und Stellwerken – so wie heute – waren in früheren Zeiten eigentlich nicht verbreitet.
Schneepflüge nicht ausreichend
Trotz besten Vorbereitungen gab es schon immer Situationen, in denen man den witterungsbedingt schnell wachsenden Schneehöhen mit Schneepflügen nicht mehr gewachsen war. Wenn diese den Schnee nicht mehr zur Seite schieben konnten, blieben sie stecken oder entgleisten. In gebirgigen Gegenden musste man mit Lawinenabgängen und daher mit sehr hohen Schneebergen im Gleis rechnen. An Strecken mit tiefen Einschnitten wehte der Schneesturm die Gleise in kurzer Zeit so weit zu, dass man die Strecke nicht mit herkömmlicher Technik beräumen konnte.
Bereits im Jahr 1857 hatte der österreichische Oberingenieur Johann Lang eine „Fräs- und Wurfwalze“ konstruiert. Später gab es weitere Entwicklungen bis hin zur dampfgetriebenen Schneeschleuder. In den USA brachten die Gebrüder Leslie eine Konstruktion zur Serienreife. Das Prinzip des durch eine Dampfmaschine angetriebenen kombinierten Schneid- und Wurfrades setzte sich recht schnell durch. Die Auswurfrichtung konnte man durch Umstecken der Schneidmesser relativ schnell und beliebig ändern. Die Lokomotivfabrik Henschel & Sohn in Kassel erhielt die Lizenz im Jahr 1889 und konnte die erste Schneeschleuder nach dem Leslie-Prinzip im Jahr 1892 an die Preußische Eisenbahndirektion Hannover ausliefern. Da sich die Konstruktion auch im harten Wintereinsatz am Gotthard in der Schweiz bewährte, wurden Henschel- Schneeschleudern bald nach ganz Europa geliefert.
Erst im Jahr 1970 beheimatete man eine vierachsige Dampfschneeschleuder im Bahnbetriebswerk Halle P. Diese wurde im Jahr 1930 bei Henschel & Sohn in Kassel unter der Fabriknummer 21924 gebaut. Die Dampfmaschine stammt von der Firma Schichau in Elbing. Die Schleuder lief zunächst unter der Nummer Königsberg 700-582. Nach Ende des 2.Weltkrieges verschlug es das Fahrzeug zunächst nach Freiberg (Sachs). Nach Beheimatungen in Pirna und Chemnitz kam die Schleuder zum Bw Halle P, wo sie als SSH 61 geführt und von Hallenser Personalen betreut wurde.
Hilfseinsätze in Dürröhrsdorf (Sachs)
Während der relativ milden Winter zu Anfang der siebziger Jahre gab es eher wenige Einsätze. Von einem berichtete mir der langjährige Lokführer Paul Schüßler, der bei einem Schneeschleudereinsatz im Winter 1974/75 im Raum Pirna dabei war. Zusammen mit den Kollegen Horst Klimke, Karl Jung und Wilfried Vöckler wurden sie für die Beräumung eines Streckenabschnittes nach Sachsen gerufen. Die Strecke Dürröhrsdorf - Neustadt in Sachsen war regelmäßig von starken Schneeverwehungen betroffen. Der als „Bockmüller“ bezeichnete, berüchtigte Wind sorgte seit jeher im Winter regelmäßig für chaotische Zustände und eingeschneite Verkehrswege zwischen Dürröhrsdorf, Stolpen und Neustadt (Sachs). Mehrere Einschnitte dieser Eisenbahnstrecke waren stellenweise so zugeweht, dass es weder Schneepflügen noch einer damals neu beschafften Schneeräumeinheit sowjetischer Bauart gelang, die Strecke frei zu bekommen.
Aus Berichten geht hervor, dass dort ein Zug im Schnee steckengeblieben war und mit großem Aufwand befreit werden musste. Insgesamt dauerte der Einsatz der Hallenser Schneeschleuder fast eine Woche, um die gesperrte Strecke und einige wichtige Bahnanschlüsse wieder befahren zu können.
In Halle heizte man die Schneeschleuder an und lies sie per dringlichem Hilfszug über 200 km bis nach Pirna schleppen. Dort wurde eine Lok der BR 52 angehangen und die Schleuder über Bad Schandau und die eingleisige Nebenbahn zum Einsatzort Neustadt (Sachs) geschoben.
Da man bei Tageslicht besser arbeiten konnte, musste mit dem Arbeitsbeginn jeweils auf die Morgendämmerung gewartet werden. Vor dem Einsatz war körperliche Arbeit angesagt: Der Balken mit der Pufferbohle wurde per Seilzug noch oben gezogen und arretiert. Die Puffer baute man ebenso ab. Dann musste man die Auswurfrichtung und damit die Stellung der Schaufeln am Schleuderrad festlegen. Das Arretieren war zwar eine geübte und eingespielte Tätigkeit, bei tiefen Temperaturen jedoch war das nicht gerade angenehm. Vor allem beim Wechsel der Richtung des Auswurfes und teilweise vereister Teile hatte man seine „liebe Not“.
Die Personale wechselten sich dann beim Einsatz ab und arbeiteten fast in 2 Schichten. Tagsüber kümmerte sich Horst Klimke darum, dass Kohle angeliefert wurde und dass die Wasserkräne der Unterwegsbahnhöfe nutzbar waren. Da der Einsatz wider Erwarten mehrere Tage dauerte, stellte man die Schneeschleuder nachts in Dürröhrsdorf ab. Die beteiligten Personale bauten sich in der Schleuder neben dem Kessel ein provisorisches Nachtlager und schliefen neben dem wohlig warmen Kessel. Zum Glück gab es in Dürröhrsdorf einen guten Gasthof, wo die Abende gemeinsam verbracht wurden.
Paul Schüßler schildert die Situation insofern als schwierig, als dass der Schnee schon einige Zeit lag und damit ziemlich hart und fest war. Ein großes Problem war das Zusammenspiel zwischen Schleuderbesatzung und Schublokomotive. Die Geschwindigkeit musste ziemlich feinfühlig geregelt werden, was mit der 52 nicht immer gelang. Mehrfach hatte sich das Schleuderrad „festgefressen“. Man musste es mit Hilfe von heißem Wasser, dass man an der Strahlpumpe abzapfte, von Schnee und Eis befreien und erneut vorsichtig in den Schneeberg fahren.
Insgesamt war der Einsatz erfolgreich und die Schneeschleuder konnte nach mehreren Arbeitseinsätzen bis nach Dresden zurückfahren. Anschließend bekam jeder der vier Hallenser von einem Vertreter der Reichsbahndirektion Dresden einen Umschlag mit einer „dicken Prämie“ überreicht. Die Tage um Dürröhrsdorf blieben allen Beteiligten unvergessen.
Jahrhundertwinter 1978/79
Als sich zum Jahreswechsel 1978/79 nach mehreren schneearmen Wintern im deutschen Flachland eine ganz besondere Wettersituation einstellte, rieben sich zunächst viele Menschen die Augen: Schneechaos in Norddeutschland mit eingeschlossenen Ortschaften und blockierten Verkehrsverbindungen. Bald sollte der harte Winter ganz Mitteleuropa im Griff haben.
Die Eisenbahn war in Ost und West eigentlich nicht mehr auf solche Wetterlagen eingestellt. Es gab vielerorts eingefrorene Weichen und zahlreiche winterbedingte Betriebsstörungen, die man aber nach mehreren Tagen einigermaßen in den Griff bekam.
Nicht aber im Norden der DDR! Dass Einschnitte bis Oberkante der Schienenfahrzeuge eingeschneit waren, daran konnte sich dort niemand so recht erinnern. Besonders hart war die Insel Rügen betroffen. Dort ging nichts mehr und nur eine Dampfschneeschleuder konnte helfen.
Die nächst greifbare wäre in Halle stationiert gewesen; sie befand sich allerdings zu dieser Zeit zur Ausbesserung im Raw Meiningen. So forderte man Dampfschneeschleudern auf anderen Direktionsbezirken an. Es waren die Schleudern aus Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) und Oebisfelde im Einsatz um Stralsund. Die Bilder von eingeschneiten Zügen und freigelegten Gleisen auf der Insel Rügen gingen damals durch die Presse.
Die Deutsche Reichsbahn reagierte im Folgejahr mit einigen Weisungen zur Verbesserung der Wintervorbereitung, die ab Sommer 1979 höchste Priorität hatte. Als junger Ingenieur im Bw Halle P bekam ich die Aufgabe, das Winterdokument zu erstellen. Dort spielte die hier stationierte Henschel- Schneeschleuder eine wichtige Rolle.
Zu überprüfen waren Bedienungsanweisung, der Bereitschaftsplan und die Schulung des Personals. Es gab auch vor jedem Winter ein probeweises Anheizen mit einer Funktionskontrolle des Schleuderrades sowie eine wagentechnische Untersuchung. Der Kessel unterlag den damals üblichen Kontrollfristen. Die für die Schneeschleuder in den Bereitschaftsplan aufgenommenen Kollegen mussten erfahrene Dampflokpersonale sein. Wenn ein Einsatz anstand, mussten sie umgehend aus ihren Diensten herausgelöst werden und sich auf mehrtägige Einsätze vorbereiten. Nur: Auf einen Einsatz der Schleuder mussten die engagierten Hallenser Personale von da ab noch über 7 Jahre lang warten.
Ganz persönlich für die Schneeschleuder verantwortlich fühlte sich bis zu seinem frühen Tod der Lokführer und Dienstplanleiter Horst Klimke. Er verstand es vorzüglich, seine Mitstreiter zu motivieren aber manchmal auch gehörig anzutreiben, wenn es um die Schneeschleuder ging. Nach seinem frühen Tod kam Harry Heydenbluth im Jahr 1983 in das Team, der zusammen mit Karl-Heinz Koch und den beiden Heizern Wilfried Vöckler und Karl Jung gleichzeitig das Stammpersonal für die nach Halle zurück gekehrte Traditionslok 03 1010 bildete. Ihnen war es vergönnt, die letzten Einsätze der Schneeschleuder im Winter 1986/87 als Bedienpersonal mitzumachen.
Letzte Einsätze im Januar 1987
Die Strecke von Sonneberg nach Eisfeld war seinerzeit vielen Dampflokfreunden von den letzten Einsätzen der ölgefeuerten Dampfloks der BR 95 bekannt. Spektakulär war u.a. der Viadukt von Mengersgereuth-Hämmern, der ganz im Bogen lag und einen im Tal liegenden Ortsteil überbrückte. Davor und danach gab es auch mehrere Einschnitte, die ein Schneesturm in besagtem Winter kräftig zugeweht hatte. In der Nacht 14./15.Januar 1987 war ein Nahgüterzug auf einem zugeschneiten und vereisten Überweg zwischen Mengersgereuth-Hämmern und Effelder entgleist und musste mit dem Hilfszug befreit werden. Anschießend musste die Strecke gesperrt werden, weil wegen des starken Windes und Schneefalles weder die herbeigerufene Schneefräse noch der Schneepflug die Strecke freihalten konnten. Nun konnte nur eine Dampfschneeschleuder helfen. Moderneres Gerät für Schneehöhen oberhalb 3 m gab es auch zu dieser Zeit noch nicht in ausreichender Zahl.
Die bis dato in Saalfeld stationierte Schneeschleuder kam nicht zum Einsatz, da ihre Fristen im Oktober 1986 abgelaufen waren. Die Hallenser Personale holte man am 15. Januar kurzfristig zum Dienst. Die schnell angeheizte Schleuder und der dazugehörige Begleiterwagen wurden angehängt und am Abend auf schnellstem Wege über die Saalebahn als dringlicher Hilfszug nach Saalfeld gefahren. Dort übernahm den Zug unter höchster Dringlichkeit eine Probstzellaer 119, die das Gefährt über Probstzella und Lichte-Ost zunächst bis Lauscha zog. Noch konnten sich die Kollegen im beheizten Begleiterwagen auf den Einsatz vorbereiten. In Lauscha musste Kopf gemacht werden und die Diesellok schob die Schleuder jetzt über Sonneberg in Richtung des Einsatzes. Im Arbeitsstand der Schneeschleuder fuhr jetzt ein streckenkundiger Begleiter bis an den Ort des Geschehens mit.
In Sonneberg-West gegen 5.00 Uhr morgens angekommen, musste man die Pufferbohle nach oben ziehen und dann die Auswurfrichtung festlegen. Dabei war nicht nur die Windrichtung zu bedenken, sondern auch die Möglichkeit, den Schnee über bestehende Dämme und Hindernisse auszuwerfen.
Harry Heydenbluth berichtet, dass die Schleuder anfangs mit der Schneehöhe kein Problem hatte. Da der eingeschneite Abschnitt bei Mengersgereuth-Hämmern leicht im Gefälle lag, konnte man nicht erahnen, dass der Schnee recht schnell bis in Höhe des Daches reichte. Aber auch das hat man mit der bewährten „Leslie-Technik“ ohne große Probleme bewältigt. Lediglich die Steuerung der Geschwindigkeit beim Schieben wurde wieder zu einem Problem. Auch die Diesellok BR 119 war nicht die ideale Wahl und das Schleuderrad hatte sich dreimal festgefressen. Mit einem Heißwasserschlauch hat man das Problem mit etwas Einsatz und Mühe jeweils lösen können.
Bei der Arbeit kurz vor einem Viadukt hat man dann den Schnee aus Versehen in ein unterhalb der Brücke liegendes Grundstück verfrachtet, was man vielleicht mit einer Änderung der Auswurfrichtung hätte ändern können. Aber man musste ja die Strecke irgendwann freibekommen! Bei der Weiterfahrt wäre es fast noch zu einem Unfall gekommen. An einem zugewehten Streckenteil waren inzwischen Soldaten der NVA mit einem Räumgerät bei der Arbeit. Zum Glück konnten diese den Gleisbereich noch verlassen. Der Bremsweg hätte nicht ausgereicht.
Nach reichlich 8 Stunden konnte der eigentliche Einsatz beendet werden und die Hallenser die Heimreise antreten. Die Schleuder wurde nun über Sonneberg bis Lauscha gezogen um dort die Fahrtrichtung zu ändern. Den Zug mit 30 km/h bis Halle zu schieben wäre nicht möglich gewesen. So schob den Zug in den damals streng bewachten Grenzbahnhof Probstzella hinein. Das alles hat gedauert, da ja erst die Personalien der Hallenser Kollegen aufgenommen werden und an die „Grenzorgane“ gemeldet werden mussten.
Nach über 24 Stunden kehrten alle wohlbehalten in die Heimat zurück. Nur noch ein kleiner Einsatz folge Tage später. Die Nebenbahn von Nauendorf nach Löbejün bei Halle war eingeschneit. Die Schneehöhe etwa 1 Meter war für die Schneepflüge zu hoch und so befreite man den Einschnitt vor Löbejün mit der Dampfschneeschleuder in knapp 2 Stunden von der weißen Pracht. Das war der letzte Einsatz der Halleschen Dampfschneeschleuder!
Nach der politischen Wende
Keine allzu lange Zeit verging bis zur politischen Wende. Dampfschneeschleuder schien nun kaum jemand mehr zu brauchen. Die Pflege und der Erhalt der Hallenser Museumsloks 18 201, 03 1010, E18 31 und E11 001 beanspruchte nun alle Kraft des neu gegründeten Vereins „Traditionsgemeinschaft Halle P“.
Die Henschel-Schneeschleuder entging zum Glück dem Weg allen alten Eisens und steht heute im Technikmuseum in Prora auf der Insel Rügen. Es ist die einzige erhaltene vierachsige Henschel-Schneeschleuder in Deutschland. Von der sechsachsigen Bauart sind mehrere Exemplare erhalten. Sie stehen heute u.a. in Neuenmark-Wirsberg, Staßfurt, Neustadt/Weinstr, Berlin und Schwerin.
Der vollständige Beitrag und weitere Abbildungen finden sich in EisenbahnKLASSIK (Ausgabe 3-2021).
Joachim Volkhardt
Foto: Sammlung Joachim Volkhardt