Im Verlauf zunehmender Streckenelektrifizierung in den 1920er Jahren plante die DRG, die Trasse Breslau – Liegnitz – Arnsdorf (bei Dresden) mit Elektrolokomotiven zu betreiben. Dieser Strecke kam besondere Bedeutung im Güterverkehr zu; fuhren hier doch täglich bis zu 100 Kohlezüge aus dem oberschlesischen Revier in Richtung Dresden und Berlin. Die bis zu 2.200 t schweren Züge stellten besondere Anforderungen an die Lokomotiven, welche im Dauerbetrieb zum Einsatz kommen sollten.
Die Planungen der DRG sahen die Entwicklung einer sechsachsigen Doppellokomotive mit Einzelachsantrieb per Tatzlager, einer Höchstgeschwindigkeit von 65 km/h sowie einer maximalen Zugkraft von 36.000 kp vor. Nachdem zwei Entwürfe der Firma AEG zunächst abgelehnt wurden, entschied man sich im Frühjahr 1926 für das überarbeitete Konzept einer 1´C+C 1´ - Doppellokomotive mit Tatzlagerantrieb und 1.400 mm großen Treibrädern.
Ende 1927 verließ die E95 01 die Werkhallen der AEG in Hennigsdorf. Die Länge von 20.900 mm, 138,5 t Gewicht, 2418 kW Dauerleistung und der Preis von 542.090 Reichsmark stellten neue Dimensionen in der Lokomotiventwicklung dar - sie war die größte, schwerste, stärkste und teuerste Elektrolokomotive ihrer Zeit. Nach der E95 01 wurden noch fünf weitere Maschinen dieser Baureihe in Dienst genommen, wobei die E95 02 als einzige zunächst eine fremderregte, fünfstufige, elektrische Widerstandsbremse erhielt.
Das äußere Erscheinungsbild der E95 wird geprägt durch die zwei annähernd gleichen Lokomotivkästen mit den langen und hohen Vorbauten an jeder Lokhälfte. Darin befindet sich jeweils ein ölgekühlter Haupttransformator und die elektromagnetische Schützensteuerung. Trotz der weitestgehend identischen Lokhälften, welche durch Übergangseinrichtungen miteinander verbunden sind, können nur beide gemeinsam eingesetzt werden, da einige Maschinenteile lediglich einfach vorhanden sind. Die Treibachsen besitzen je einen eigenen fremdbelüfteten Wechselstrom-Reihenschlußmotor mit Erreger-, Kompensations- und Wendepolwicklung.
Im Einsatz bewährten sich die Lokomotiven der Baureihe E95 außerordentlich gut. Unter anderem wurde nach der Betriebserprobung die Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h heraufgesetzt. Da die ursprünglich vorgesehene Strecke von Breslau nach Arnsdorf nicht elektrifiziert wurde, setzte man die E95 auf der schlesischen Gebirgsstrecke Dittersbach – Lauban – Görlitz ein.
Unmittelbar nach Kriegsende 1945 wurden alle E95 als Reparationsleistung an die UdSSR abgegeben. Über etwaige Einsätze in der Sowjetunion ist jedoch nichts bekannt. Schon 1952 kamen alle sechs Lokomotiven wieder zurück zur Deutschen Reichsbahn, wo im Jahr 1959 die E95 01, E95 02 und E95 03 im RAW Dessau wieder aufgearbeitet wurden. Zunächst dem Bw Leipzig-Wahren zugeteilt, waren alle drei E95 ab März 1960 im Bw Halle P stationiert. Von der Einsatzstelle Merseburg aus bespannten sie meist Güterzüge nach Bitterfeld, Roßlau, Muldenstein, Weißenfels und Leipzig-Wahren. Im Verlauf des Jahres 1969 wurden die drei E95 abgestellt und ausgemustert.
Während E95 01 und E95 03 verschrottet wurden, überlebte die E95 02 als Trafostation für die Weichenheizungen im Hauptbahnhof Halle. Anlässlich des Jubiläums „100 Jahre elektrische Lokomotiven" im Jahr 1979 erhielt die Lok im RAW Dessau eine Teilrestaurierung. Für die Feierlichkeiten „150 Jahre Erste deutsche Fernbahn Leipzig – Dresden" im Jahr 1989 erfolgte eine museumsgerechte Aufarbeitung. In den folgenden Jahren wurde E95 02 auf zahlreichen Lokausstellungen präsentiert.
Seit 1995 arbeiten einige Mitglieder der Traditionsgemeinschaft Bw Halle P an der betriebsfähigen Aufarbeitung dieser einzigartigen Maschine. In dieser Zeit wurden bisher über 100.000 Arbeitsstunden geleistet und ca. 150.000,- Euro Spendengelder investiert. Die Trafos wurden geprüft, fünf Fahrmotore sind aufgearbeitet und funktionstüchtig. Für die Reparatur des sechsten Fahrmotors werden noch Geldspenden gesammelt. Elektrische Bauteile wie Hilfsbetriebe, diverse Schütze und Stromabnehmer wurden gründlich aufgearbeitet. Ca. 13.500 m neue Kabel wurden in der Lokomotive verlegt. Inzwischen ist die Maschine innen und außen neu lackiert.